Dr. Christian Dewanger
Taijiquan & Qigong & Coaching

Daoistisch - was ist das eigentlich?

Nun, sich über die Inhalte des Daoismus auszutauschen wäre abendfüllend. An dieser Stelle gibt es daher nur einen kleinen Anriss...

Der Daoismus ist eine chinesische Philosophie/Religion, wobei ich mich klar mit der philosophischen Ausführung befasse. Die Besonderheit dieser Lehre ist es, dass die Erklärung der Welt und ihrer Phänomene ohne einen Schöpfer auskommt, sondern in Gänze als sich selbst erschaffende Schöpfung betrachtet wird. Sie ist mehr wie eine Wissenschaft, denn ihre Inhalte und Konzepte lassen sich durch eigene Erfahrung überprüfen, ganz konkret in der Anwendung des Taijiquan. Man kann in diesem die Lehren und ihre Prinzipien real erfahren und verstehen lernen. Die vordaoistischen Schamanen haben durch Meditationen, Naturbeobachtungen und experimentelle Bewegungsübungen die Natur des Seins erkundet. Spätere Philosophen griffen auf dieses Wissen zurück und befassten sich mit generellen Fragen des Seins an sich, aber explizit auch mit Fragen der Führung von Gesellschaft. So gibt das bekannteste Werk, das Tao Te King, auch Vorgaben für das Verhalten von Herrschern, also politischem Führungspersonal. Es lassen sich die daoistischen Inhalte aber nur schwer abgrenzen von den anderen geistigen Strömungen im damaligen China. Buddhismus und, wesentlicher, der Konfuziunismus sind prägend gewesen und vor allem die schamanistischen Traditionen als Grundlage für die Medizin und Kampfkünste spielten eine große Rolle. Und so lässt sich bei einigen Konzepten kaum sagen, ob diese daoistisch sind oder nicht, da sie von praktisch allen Richtungen angewendet werden. Meiner Erfahrung nach aber beziehen sich alle Konzepte aufeinander und bilden diese eine zusammenhängende Betrachtung der Welt aus. Zwei, drei dieser Konzepte möchte ich im Folgenden kurz skizzieren.


Polarität

Die Wirklichkeit entfaltet sich zwischen zwei Extrempunkten, die mit Yin und Yang symbolisiert werden. Heiß und Kalt, Groß und Klein, Hart und Weich wären solche Extrempunkte. In unserem westlich-analytischen Denken verstehen wir diese aber gerne als zwei Gegenpole, die sich gegenüberstehen, doch das ist nicht die daoistische Sicht. In dieser sind es die Endpunkte eines Kontinuums. Sein Inhalt liegt zwischen diesen. Dabei kann es das Kontinuum und die Endpunkte nur zusammen geben. Kein Endpunkt kann ohne den anderen existieren, sobald der eine auftaucht, taucht auch der andere auf. In diesem Sinne bringen sich die Extrempunkte gegenseitig hervor und wirken sie zusammen, indem sie das Kontinuum ausbilden. Dieses symbolisiert sich im Taiji-Symbol.


Trinität - Tian-Di-Ren

Das Tian-Di-Ren heißt so viel wie Himmel-Erde-Mensch und drückt aus, dass der Mensch zwischen Himmel und Erde existiert. Dieses kann einerseits physikalisch wörtlich genommen werden (unsere Füße stehen auf der Erde und der Kopf ragt in den Himmel), aber auch als spirituell-energetisch-geistige Verortung angesehen werden. Der Mensch hat einen denkenden Geist, mit dem er auf die Materie der Welt einwirkt und anders herum liefert die materielle Welt reichlich Anlass für Denkvorgänge. So kommen Materie/Substanz und Information/Geist im Menschen zusammen. Und im Menschen entsteht daraus Leben, Erfahrung, Gefühl. Wir können also Himmel und Erde im Sinne der Polarität als die Extrempunkte ansehen, zwischen denen sich der Mensch als Kontinuum ergibt.


Wu Xing - die 5 Wandlungen

In diesem Kontinuum wirken Yin und Yang in unterschiedlichen Qualitäten. Bereits in vordaoistischer Zeit wurden 5 grundlegende Wandlungsformen dieser Qualitäten ausgemacht und mit Holz (aufsteigend-durchdringend), Feuer (aufsteigend-ausbreitend), Erde (ausgleichend-tragend), Metal (verdichtend-trennend) und Wasser (sinkend-speichernd) symbolisiert. Im Westen ist das Konzept vor allem als »5 Elemente« bekannt, was aber irreführend ist, da es nicht um statische Elemente, sondern eben Veränderungsqualitäten geht.


Weiteres Folgt...